Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.

Cookie akzeptieren

Notizen zur Frühjahrsbeilage der Zeit erschienen am 16.03.2023

1. August 2023. Im Herbst erscheinen die Buchmessenbeilagen der großen Zeitungen. Der Perlentaucher wertet sie aus und verfasst zu jeder Kritik in diesen Beilagen eine resümierende Notiz. Auch auf eichendorff21 können wir so einen Überblick über jene Bücher geben, die von den Zeitungen im Herbst als besonders wichtig erachtet werden. Hier die Literaturbeilage der ZEIT für Herbst 2022.

Eher durchschnittlich findet Rezensentin Eva Behrendt das Leben, das Nadia Shehadeh, Bloggerin, Soziologin und Journalistin, in ihrem feministischen Manifest beschreibt: Zeit für sich, für Selbstverwirklichung und nicht allzu viel arbeiten. Die Autorin verkaufe das aber als recht revolutionär gegenüber den neoliberalen "Girlbossen" - Geschäftsfrauen, die sich für den Erfolg knechten und in Sachen "privilegierter Arschlochhaftigkeit" mit männlichen Kollegen auf einer Ebene sind. Die Autorin findet das ziemlich kapitalistisch und sieht darin … mehr

Rezensent Gerald Wagner kann Axel Honneths Sicht auf die arbeitende Klasse nicht goutieren. Dass der Autor heutige Arbeitsverhältnisse so darstellt, als "schufteten" die Menschen "wie bei Engels", kann er selbst einem Philosophen nur schwer durchgehen lassen. Honneth braucht die Fallhöhe, meint Wagner, um seinem Ruf nach Verbesserung der Verhältnisse mehr Gewicht zu geben. Laut Wagner kehrt er dabei allerdings Betriebsräte und Sozialwahlen unzulässigerweise unter den Tisch kehrt. Honneths Versuch, aus seinen Prämissen … mehr

Ein "Jahrhundertbuch" liest Rezensent Marko Martin mit dieser Edition der Tagebücher und Briefe von Etty Hillesum. Warum diese Aufzeichnungen nicht früher auf Deutsch erschienen sind, ist dem Kritiker ein Rätsel, gab es doch in den Niederlanden schon in den achtziger Jahren eine entsprechende Publikation. Auf knapp tausend Seiten verfolgt er in diesem "skrupulös übersetzten und kommentierten" Band, die Aufzeichnungen der "weltneugierigen" jüdischen Studentin, die die Besatzung der Niederlande durch die Nazis dokumentiert. Die … mehr

Rezensentin Sonja Asal scheint zwiegespalten angesichts von Emilia Roigs Forderung nach einer Abschaffung der Institution Ehe. Roig hält die Ehe für das Emanzipationshindernis schlechthin, das Frauen in die Mehrfachbelastung und in sexuelle Gewaltverhältnisse treibt, laut Roig alles im Interesse von Staat und Kapitalismus. Asal stellt trotz aller Genauigkeit und Sachlichkeit der Beobachtungen im Buch fest, dass die Autorin mit solchen Gedanken auch Klischees bedient und mitunter ihre eigenen Forderungen unterläuft, … mehr

Ein kurzes Manifest in "locker-humorvollem Ton" liest Rezensentin Susanne Billig mit Sophie Lewis Buch, in dem die Autorin zur Abschaffung der Familie aufruft. Das "weiße Kleinfamilienmodell" sieht Lewis auf vielen Ebenen als problematisch an, lesen wir: Im kapitalistischen System wird unbezahlte Care-Arbeit forciert und das Leben im abgeschlossenen "Mikrokosmos" der Familie fördert im Extremfall häusliche Gewalt. Nicht zuletzt weist die Autorin daraufhin, dass es in vielen Kulturen ganz andere Vorstellungen von Familie … mehr

Rezensent Christian Thomas scheint großen Respekt zu haben vor Gerd Koenens Auseinandersetzung mit Russland, seiner Geschichte und dem Angriffskrieg auf die Ukraine. Denn Koenens Ausführungen bewegen sich fernab von "konventionellen Konfliktanalysen" und setzen bewusst den "bescheidenen" Untertitel "Nachdenken über Russland", so Thomas, der stattdessen auf "historisch informierte Essays" trifft, auf Reflexionen in langen Sätzen, gespickt mit "blitzartigen Erhellungen", die zum Teil eher poetisch anmuten - "Der Schatten einer nordkoreanischen Finsternis legt sich über die Szene", zitiert er den Autor etwa. Wie Koenen in dieser ungewöhnlichen … mehr

Zwei Mädchen, später Frauen - die eine weiß, die andere schwarz - begegnen sich im Kinderheim und stellen fest, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie voneinander unterscheidet - davon handelt Toni Morrisons einzige Erzählung, fasst Rezensentin Judith von Sternburg zusammen. Bis zum Schluss weiß die Leserin nicht, welche der beiden Frauen erzählt, wer wer ist. Und genau das, so die Rezensentin, ist der Clou dieser Geschichte, das Experiment - … mehr

Im besten Sinne "ziemlich uncool" findet Rezensent Dirk von Petersdorff Judith Hermanns Frankfurter Poetikvorlesungen, die ihm einen Einblick geben in die schöpferische Kraft, die die Autorin dem Erzählen idealistisch zuschreibt. Dass sie zwischen Erzähldrang und dem nicht Sagbaren einen Kompromiss findet und von ihrer schwierigen Kindheit, einer Psychoanalyse oder einem verstorbenen Freund schreibt und den eigentlichen Kern des Geschehen dabei immer nur umreißen kann, macht für ihn eine große Faszination und … mehr

Rezensentin Judith von Sternburg preist den österreichischen Witz in Tonio Schachingers Pennäler-Roman. Das Wiener Gymnasium im Buch, Setting für einen Coming-of-Ager im Corona-Jahr, muss man laut Sternburg nicht kennen und auch nicht jedes verhandelte Detail von König Strache bis "Age of Empire", um Spaß mit dem Buch zu haben. Der Autor bietet alle nötigen Infos, um den Leser unterhaltsam direkt in die Abgründe der Jugend und der österreichischen Gesellschaft zu führen, meint … mehr

Dirk von Lowtzow hat sich im Corona-Lockdown ein Jahr lang Zeit genommen, Erlebnisse und Skizzen aus der Zeit festzuhalten und zu einem Buch zu verarbeiten: "wie ein Mann zerfällt" ist das Thema, schreibt der angetane Rezensent Guido Graf. Vom neusten Album seiner Band Tocotronic, von der Angst vor dem Altern, aber auch von einem magisch-verwunschenen Teddybären, der mit Ausklang des Jahres 2020 wieder verschwindet, schreibt von Lowtzow hier, weiß der Kritiker. Berührt ist … mehr

Eine äußerst erstaunliche italienische Dichterin darf Kritikerin Katharina Teutsch dank Christine Wunnicke kennenlernen: Margherita Costa war, neben der Schriftstellerei, unter anderem Nonne, Prostituierte, Mutter und Geliebte eines kalabrischen Auftragsmörders, wovon auch ihr umfangreiches und ebenso breit gefächertes Werk erzählt. Christine Wunnicke, die Teutsch schon als Freundin obskurer Literaturgestalten kennt, hat eine Auswahl getroffen und übersetzt, aus Gedichten, die vom Sex mit nur gering bestückten Zwergen handeln und vom Unsichtbarwerden älterer … mehr

"Heruntergedimmte Eleganz" zeichnet diesen Roman von Theresa Präauer aus, findet Rezensent Paul Jandl. Es geht um eine Abendgesellschaft: die Gastgeberin hat gekocht, im Hintergrund läuft Jazz von der Spotify-Playlist und die Gäste debattieren über Gegenwartsphänomene und fehlende Utopien, während sie Fotos auf Instagram posten. Die Handlung ist überschaubar, so der Kritiker, viel passiert nicht, aber dafür haben die "gruppendynamischen Spannungen" eine Intensität, die den Rezensenten an Filme von Eric Rohmer denken lässt. … mehr

Als eine der "wenigen sehr guten" Darstellungen des Kaisers Nero wertet Rezensent und Althistoriker Uwe Walter das Buch von Alexander Bätz. Der Autor und Fachkollege liefert hier, so Walter, eine nicht an steilen Thesen, sondern an der Sachlage orientierte, "durchweg solide" recherchierte Analyse der Herrschaftszeit des Kaisers, der hier von seinem üblen Ruf nicht befreit, aber ein bisschen entfernt wird, fasst Walter zusammen. So findet er höchst aufschlussreich und angemessen, wie Bätz in … mehr

Wahrscheinlich war die Prämisse des Verlags bei Douglas Stuarts zweitem Roman einfach, ihn das erste Buch noch mal, nur noch drastischer schreiben zu lassen, vermutet Kritiker Kai Sina. So kann ihn die Geschichte, die sich wieder in sozial randständigen Verhältnissen abspielt, nur ein Jahrzehnt später als der Erstling, auch nicht recht überzeugen - es will sich kein "Flow" einstellen, zu wenig sind die Momente von sexualisierter, homophober und schlicht brutaler … mehr

Auch Rezensent Helmut Böttiger ist dankbar, dass sechzig Jahre nach der ersten Veröffentlichung die Urfassung des Romans von Brigitte Reimann vorliegt. Kein Wunder, dass die Geschichte über Uli, der kurz vor dem Mauerbau in den Westen fliehen will und sich deshalb mit seiner, den real existierenden Sozialismus verteidigenden Schwester Elisabeth anlegt, in der DDR heftig diskutiert wurde. Der im vergangenen Jahr bei Bauarbeiten entdeckte Urtext ist für Böttiger nicht nur … mehr

Den für Knausgard typischen "Sog der Ödnis" macht Kritikerin Katharina Teutsch auch in seinem neuesten, ausnahmsweise mal nicht autobiografischen, Roman fest. Über tausend Seiten umfasst die Geschichte um den jungen Syvert, der sich im Jahr 1986 auf die Suche nach Leben(sstationen) und Gefühlen seines früh verstorbenen Vaters macht: In der ersten in der norwegischen Provinz angesiedelten Hälfte ist das recht handlungsarm, meint Teutsch, in der zweiten, die in Russland spielt, geht es … mehr

Rezensentin Judith von Sternburg liest gebannt diese Liebesgeschichte in der Vergangenheitsform, wie sie Julia Schoch mit für die Rezensentin erkennbarem autobiografischem Einschlag aufschreibt. Was Sternburg so bezaubert an diesem Dokument einer "Überwältigung durch Liebe" von ihrem Ende her, ist seine Präzision, die vielen pointierten Beobachtungen, und auch der Umstand, dass der Angehimmelte für die Leserin so anhimmelnswert gar nicht erscheint. Dass dabei auch Zeitgeschichte vermittelt wird, findet Sternburg auch nicht übel.

Rezensent Dieter Thomä staunt über die Unnachgiebigkeit und die Sanftmut in den Girona-Vorlesungen von Richard Rorty aus dem Jahr 1996. Gut lesbar und virtuos in der Führung virtueller Dialoge mit Zeitgenossen wie Habermas oder Rawls erweist sich Rorty hier laut Thomä einmal mehr als Pragmatist. Wie Rorty gegen allmächtige Autoritäten und für die Lust am Spiel und das Gefühl als Basis für friedlichen Umgang optiert, wie er auch gegnerische Argumente … mehr

Gerne lauscht Kritiker Alexander Cammann den 77 Gedichten von Emily Dickinson, die Regisseur Kai Grehn übersetzt und in Zusammenarbeit mit Birgit Minichmayr vertont hat, deren Stimme für ihn einzigartigen Charakter hat. Die meditativ-kontemplativen, manchmal auch witzigen Panoramen der nordamerikanischen Natur erfahren mit der klanglichen Bearbeitung durch die Band CocoRosie eine entsprechende Begleitung, die auch die heiser-raue Stimme der Sprecherin perfekt ergänzen, freut sich Cammann. Die Frage, die der Titel stellt, … mehr