Einen "begnadeten Stimmungsmaler" sieht Rezensent Steffen Richter in Philippe Claudel, der wegen seiner Fähigkeit, kriminalistische Spannung zu schüren und soziale Milieus zu durchforsten mit Georges Simenon verglichen wurde. Dem Sog des Tonfalls, den Claudel in seinem Roman "Die grauen Seelen" anschlägt, befindet Richter, könne man sich kaum entziehen. Es geht um die Aufklärung des Mordes an einem zehnjährigen Mädchen in einem namenlosen Städtchen in der nordostfranzösischen Provinz, der zwanzig Jahren zuvor, im Jahr 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, verübt wurde. Claudels Roman schnurre "wie ein Uhrwerk", findet Richter. Liebe und Verzweiflung, Spannung, Melancholie und die Allgegenwart des Todes sind seines Erachtens "filigran aufeinander abgestimmt", auch wenn die Erzählweise "äußerst konventionell" ausfalle. Dazu gebe es zahlreiche "wohlbedachte melodramatische Effekte" sowie Sentenzen in "salbungsvollem Ton". Das ist für Richters Geschmack manchmal zu viel des Guten. "So bewundernswert feingliedrig Claudels Prosa sein mag", schreibt er, "mitunter leidet sie an ihrem Willen zur klischeehaften Gefühligkeit."