Nach dem Krieg war Leo Perutz vergessen, seine im Exil entstandenen Romane fanden gerade in Deutschland kaum einen Verleger - obwohl oder weil sie jüdisches Gettoleben schilderten. Stefan Berkholz bespricht den wohl berühmtesten Roman Perutz`, der nun wieder aufgelegt wird, sowie eine Biografie des nach Palästina emigrierten Dichters, der sein literarisches Comeback nicht mehr erleben konnte, wohl aber vorausgesehen hat.
1) Leo Perutz: "Unter der steinernen Brücke"
Auf den ersten Blick macht dieses Buch auf Berkholz nicht den Eindruck eines Romans, schon gar nicht eines historischen. Man habe das Gefühl einer Novellensammlung in Form alter Überlieferungen, nicht mal ein roter Faden gebe sich anfangs zu erkennen, nur der melancholische Grundton bleibe durchgängig. Jede der 15 Geschichten ist nach Berkholz ein in sich geschlossenes Kapitel, das von realen Personen wie dem Rabbi Löw und anderen verbürgten Figuren der mittelalterlichen Geschichte der Stadt Prag handelt. Eine Hommage des Schriftstellers an seine Heimatstadt, wie sie zur Entstehungszeit des Buches schon nicht mehr existiert hat. Zwar publizierte Perutz das erste Kapitel noch in den 20er Jahren in einer Literaturzeitschrift, die weiteren entstanden in den Jahren 1943 bis 1951 im palästinischen Exil, wie Berkholz berichtet. Er hat die Geschichten gern gelesen, die anschaulich und spannend erzählt seien, und deren innerer Zusammenhang sich dem gebannten Leser bei fortschreitender Lektüre allmählich enthülle.
2) Ulrike Siebauer: "Leo Perutz - `Ich kenne alles. Alles, nur nicht mich`"
Ein Urteil gibt Berkholz zu der Siebauerschen Biografie explizit nicht ab, zieht sie aber - wohl sachlich und anerkennend zur Kenntnis genommen - zur Besprechung des oben genannten Romans heran. Stichwortartig benennt er die Lebensstationen von Leo Perutz, der in den 20er Jahren ein Erfolgsautor war und Anerkennung bei Kisch, Ossietzky, Benjamin, Kracauer fand: 1882 in Prag geboren, Ende der 30er Jahre aus Wien nach Palästina emigriert. Siebauer zeichne ein langes und trauriges Ende des Autors nach, dessen Schaffens- und Lebenskraft seit dem Exil gebrochen war, behauptet Berkholz. Perutz war isoliert, fand sich in Palästina nicht zurecht und lehnte die Gründung des Staats Israel ab, weil ihm die Idee des Nationalstaats überhaupt zuwider war. "Die letzten 19 Jahre seines Lebens war er ein Überlebender", zitiert Berkholz Siebauer und weist darauf hin, dass sich der Autor in Briefen an verschiedene deutsche Verleger beinahe dafür rechtfertigen musste, dass er das Thema Antisemitismus - wenn auch historisch - behandelt habe. Verleger Zsolnay, berichtet Berkholz, sah "die deutsche Seele" für "Werke jüdischen Geistesguts" noch nicht wieder offen.