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Notizen zur Herbstbeilage der taz im Oktober erschienen am 29.10.2022

7. Dezember 2022. Im Herbst erscheinen die Buchmessenbeilagen der großen Zeitungen. Der Perlentaucher wertet sie aus und verfasst zu jeder Kritik in diesen Beilagen eine resümierende Notiz. Auch auf eichendorff21 können wir so einen Überblick über jene Bücher geben, die von den Zeitungen im Herbst als besonders wichtig erachtet werden. Hier die Literaturbeilage der FAZ für Herbst 2022.

Rezensent Andreas Rüttenauer wagt sich furchtlos an das Romandebüt seines Journalistenkollegen Nils Minkmar heran. Der SZ-Feuilletonist Minkmar erzählt in "Montaignes Katze" unter anderem von den Mühen, die es einem Adelsherrn im Frankreich der frühen Neuzeit bereitete, sich standesgemäß zu kleiden, aber auch von den Beschwernissen Montaignes bei der Aufgabe, Henri, König von Navarra, davon zu überzeugen, den französischen Thron in Anspruch zu nehmen. Einem ungetrübten Lesevergnügen steht Rüttenauer der Voraussetzungsreichtum entgegen, … mehr

Mit "großer essayistischer Literatur" ist bei dieser Studie zwar nicht zu rechnen, warnt Astrid Kaminski. Dankbar ist die Rezensentin aber doch für diesen kulturanthropologischen Einblick in die für die meisten fernliegende Welt der "Zoophilen", Menschen also, die sich sexuell zu Tieren hingezogen fühlen. Ohne Scheu hat sich die Autorin mit zahlreichen Betroffenen unterhalten - und dabei auch ihr ebenfalls nicht problemfreies Verhältnis zur eigenen Sexualität erkundet. Interessiert folgt die Rezensentin den eher … mehr

Hymnisch bespricht Rezensent Christian Metz die beiden nun in einem zweisprachigen Band auch in deutscher Übersetzung erschienenen Gedichtbände von Marieke Lucas Rijneveld. Rijneveld, in den Niederlanden als Frau geboren, heute als Mann gelesen und für ihren Roman "Was man sät" mit dem Booker-Preis ausgezeichnet, debütierte im Alter von 25 Jahren als Lyrikerin, klärt der Kritiker auf. Schon früh ging es in den Gedichten um geschlechtliche Identität, aber auch um Tod und Herkunft, … mehr

Berlins Freiheitsversprechen ist auserzählt, stellt Rezensent Michael Wolf nach diesem Debüt fest, in dem er aber noch einen "sehr komprimierten Abgesang" auf das Genre des Berlin-Romans erkennen kann. Wenn der Protagonist sich hier durch die deutsche Hauptstadt zetert und wütet und sein Autor ihn "ohne Furcht vor Klischees" mit aufrechten Antifaschisten und antisemitischen Muslimen aneinander geraten lässt, muss Wolf zuweilen an den Thomas-Bernhard'schen Furor denken. Die Geschichte führt aus Berlin weiter nach Frankreich, aber auch … mehr

Dem Rezensenten Klaus Hillenbrand verschlägt die Lektüre dieses "herausragenden Texts einer intellektuell reflektierenden Überlebenden" schier den Atem: Minutiös schildert Auerbach in ihren erstmals auf Deutsch vorliegenden Notizen die Vorgänge und Entwicklungen im Warschauer Ghetto. Von Grausamkeiten bleibe man bei dieser Zeugenschaft folgerichtig nicht verschont: Erlittene Not und willkürliche Erschießungen prägen den Alltag, "der Hunger und das Sterben" sind allgegenwärtig. Als Leiterin einer jüdischen Suppenküche hatte Auerbach das fortschreitende Siechtum stets im Blick: Selbst einstige Athleten können sich schließlich nicht … mehr

Rezensent Rudolf Walther lernt den 1992 verstorbenen Zeitkritiker Günther Anders in dieser Sammlung von rund 100 zwischen 1931 und 1968 entstandenen Geschichten als Meister der Fabel in der Tradition Aesops kennen. Ganz großartig glücke es Anders, "Dialoge, Sentenzen, Anekdoten und Aphorismen" zu verbinden und etwa auch mit seinen, im fiktiven Land Molussien angesiedelten Geschichten die Zustände im "Dritten Reich" anzuprangern. Zu erleben sind hier "literarisch verpackte Aufklärung und offene Faschismuskritik", schreibt der rundum beglückte Kritiker.

Rezensentin Julia Hubernagel lernt in Jeannette Erazo Heufelders Biografie des Bankiers Eric Warburg eine faszinierende Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts kennen. Der Neffe des Kulturhistorikers Aby Warburg organisierte Fluchtrouten für jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, verhörte später für die US-Army Hermann Göring und half nach dem Krieg rege mit, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik aufzubauen. Auf Rache hingegen legte er in seinem "pragmatischen Liberalismus" keinen Wert. So faszinierend Warburg … mehr

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler liest Carolin Amlingers und Oliver Nachtweys Handreichung zum Verständnis der "libertären Autoritären" mit Interesse. Charmant findet er, wie die Autoren die Überlegungen der Kritischen Theorie zum autoritären Charakter nachzeichnen und zugleich Gespräche mit "Querdenkern" analysieren, um eine Unterscheidung zwischen libertären Autoritäten und den führerfixierten autoritären Charakteren zu treffen, an denen sich die Kritische Theorie abarbeitete. Stark findet Münkler die Interviews und die Milieubeschreibungen, weniger überzeugend die Herleitung … mehr

Rezensent Stefan May lernt mit Sergio del Molinos Buch das ländliche Spanien kennen, eine weitgehend unbekannte, vernachlässigte Gegend, so May. Was der spanische Journalist auf seinen Reisen in das Landesinnere seiner Heimat entdeckt, was er über das Hinterland recherchiert und an Historischem und Soziokulturellem ans Licht bringt, erscheint May spannend. Del Molinos Erlebnisse in diesem "leeren Spanien", garniert mit Literatur zum Thema, können mitunter redundant erscheinen, überraschend sind sie im Ganzen

Den deutschen Titel von Francis Fukuyamas neuem Werk hält Rezensent Georg Simmerl nicht nur für reißerisch, sondern für irreführend. Denn der Clou von Fukuyamas Liberalismus-Deutung bestehe gerade darin, dass sich sowohl die linken wie die rechten Kritiker des Liberalismus Fukuyama zufolge nicht an dessen Prinzipien an sich störten, sondern an seinen Extremformen, erklärt Simmerl: am Neoliberalismus mit seinen fatalen sozialen Folgen und an der Identitätspolitik mit ihren destruktiven Kulturkämpfen. Aber … mehr

Mit Bewunderung und Sympathie liest der hier rezensierende Schriftsteller Jochen Schimmang die Erinnerungen der vor wenigen Tagen gestorbenen Gunilla Palmstierna-Weiss. Er verfolgt gebannt ihre Entwicklung als Künstlerin, ihre Ehe mit dem Schriftsteller Peter Weiss und ihr gemeinsames Leben im Zirkel europäischer Intellektualität. Besonders einnehmend findet er, wie Palmstierna-Weiss von ihrer Arbeit als Bühnenbildnerin erzählt, ihrem "Denken in Bildern", ihren Koproduktionen mit Regisseuren wie Peter Brook und Ingmar Bergman. Für die größte Stärke … mehr

Rezensentin Katharina Granzin liest Karen Duves Roman über Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt "Sisi", vor dem Hintergrund der aktuellen Schwemme an Sisi-Content und findet in Marie Kreutzers aktuellem "Sisi"-Film "Corsage" in mancher Hinsicht einen Verbündeten des Romans im Geiste. Zu einer eindeutigen Aussage über die historische Kaiserin will sich die Autorin allerdings nicht hinreißen lassen, beobachtet Granzin: Duves Sisi ist "vielgesichtig, schillernd und ambivalent", was sich vor allem in Form verschiedener Außenperspektiven auf … mehr

Rezensent Günther Nonnenmacher als skeptischer Leser lässt sich nicht überzeugen von Stephan Lessenichs Zeitdiagnose. Was der Soziologe zur Frage, inwiefern und warum unsere Gesellschaft in der Krise aus dem Lot kommt, zu sagen hat, scheint Nonnenmacher weder überraschend noch methodisch besonders raffiniert. Lessenichs Operieren mit dem Begriff der Normalität findet Nonnenmacher nicht besonders zielführend. Wenn der Autor unser Wirtschaftssystem am Abgrund stehen sieht, fallen ihm nur bekannte Ursachen ein (der … mehr

Im Original erschien dieser Roman bereits 1975, auf Deutsch liegt er jetzt erst vor. Die mitunter tragische, von Rassismus und anderen Leiderfahrungen geprägte Geschichte der Bluessängerin Ursa Corregidora, die in den 1940ern durch Kentucky tingelt, wirft für Rezensentin Hanna Engelmeier auch Fragen nach der Übersetzbarkeit innerer Monologe und ähnlicher literarischer Anrufungsverfahren auf. Corregidora arbeite nicht nur die Geschichte der Sklaverei auf dem amerikanischen Kontinent auf, sondern entwickelt auch auf famose … mehr

Abdurazak Gurnahs Roman "Nachleben" könnte Pflichtlektüre an deutschen Schulen werden, meint Rezensent Manuel Müller, der bewegt diese an wahren Schicksalen angelehnte Geschichte verfolgt. Gurnah erzählt darin von einem jungen Tansanier, Hamza, der als Kind von seinen Eltern an einen Kaufmann verdingt wurde und sich ausgerechnet in die deutsche Schutztruppe flüchtete, um im Ersten Weltkrieg für das Kaiserreich zu kämpfen. Wie Gurnah von diesem bedrängten Leben erzählt, erscheint Müller meisterlich, da … mehr

Rezensent Tobias Lehmkuhl ist fasziniert von dem ganz eigenen Spannungsfeld, das Joshua Groß' Roman entstehen lässt: eine Art "schöne" Dystopie, in der zwar die Umwelt dem Untergang geweiht ist, dabei aber immer noch betört, und zwar die Wahrnehmung eines etwas langweiligen und oberflächlichen, auf "substanzlose Art gefühligen" jungen Manns, der ein transzendentales Bedürfnis verspürt, mit der (Um-)Welt zu verschmelzen, sich selbst aufzulösen, so Lehmkuhls Zusammenfassung. Dabei passiere nicht viel Wesentliches; der Protagonist … mehr

Der hier rezensierende Jurist Christoph Möllers muss seine enttäuschte Erwartung eingestehen: Wenn sich hier Poeten über den Länderfinanzausgleich gebeugt oder die Literarizität des Organisationsrechts untersucht hätten - das wäre was! Aber Georg M. Oswald versammelt in seinem Band Schriftsteller und Juristen, die in ihren jeweiligen Essays einen persönlichen Blick auf einzelne Absätze des Grundgesetzes werfen. Das erscheint Möllers oft genug anregend, immer wieder überraschend, nur manchmal ein wenig beliebig, die … mehr

Das ist der Debütroman einer "Empörten", staunt Rezensent Andreas Platthaus: "Die Wunder" erzählt von familiären Zusammenhängen und Bindungen, die der Protagonistin Alicia so gar nicht klar sind. Schon ihre Großmutter ist vom Land nach Madrid geflohen, das erzähle Medel poetisch und hochkomplex und füge sich damit in eine lange Tradition spanischer Literatur ein, lobt er. Pünktlich zum Gastland-Auftritt Spaniens kongenial übersetzt von Susanne Lange, schließt Platthaus.