Sichtlich beeindruckt zeigt sich Katharina Döbler in ihrer ausführlichen Besprechung des Tagebuchs, das eine Anonyma zwischen April und Juni 1945 in Hefte und auf lose Zettel kritzelt: "Bomben, Essen, Wetter, Kellergespräche, Vergewaltigungen und Schlangestehen". Kein Versuch der Beschönigung sei darin zu entdecken, meint Döbler, nur der "Versuch zu verstehen, was geschieht". Das Tagebuch, berichtet Döbler, sei 1959 bereits unbeachtet in einem Schweizer Verlag erschienen und Ende der achtziger Jahre in Fotokopien in West-Berlin kursiert, aber erst jetzt sei offenbar die "Zeit reif für die Ehrlichkeit und Schonungslosigkeit dieses Textes". Sein Stil zeige, dass die Frau als Schreiberin nicht unerfahren sei und "als Person, die gewohnt ist, sich mit der Realität auseinander zu setzen." Das Schreiben, so Döbler, habe ihr vermutlich den "Rückzug auf einen Beobachtungsposten, der ihr die nötige Distanz zum Überleben verschafft - in der Reserve größtmöglicher Rationalität, wo Gefühle und moralische Erwägungen nicht zugelassen sind." Über die im Tagebuch als "Schdg." protokollierten Vergewaltigungen durch russische Soldaten und das von der Anonyma getroffene Arrangement mit einem "Wolf, der mir die Wölfe vom Leibe hält" schreibt Döbler: "Diese Mechanismen, und das ist das eigentlich Schockierende an diesem Tagebuch, erinnern an die feministische Analyse zwischengeschlechtlicher Ausbeutungsverhältnisse." In einer Situation, in der die Frau nur "Beute" sei, "gilt nur die Rangordnung der Männer."