Während die Menschen in der westlichen Welt heute schärfer sehen denn je, ist zugleich das Mittel der Unschärfe in den Bildern der Medien so beliebt wie nie. So bringt Rezensentin Elke Buhr die Ausgangsbeobachtung von Wolfgang Ulrichs "Geschichte der Unschärfe" auf den Punkt. Der Kunsthistoriker beschreibe darin nicht nur die verschiedenen Anwendungen verwischter Konturen als visuelles Stilmittel, sondern verankere sie auch in der jeweiligen Kunsttheorie und Mentalität, berichtet Buhr. Sie hebt hervor, dass es Ulrich gelingt, die gängige These, wonach die Fotografie der Malerei die Naturnachahmung abnahm und letztere sich darum der Abstraktion zuwenden musste, zu modifizieren. "Auch die Fotografen folgten dem Trend zur Autonomisierung von Fläche und Form, auch sie sahen die entscheidende Herausforderung darin, das reine Abbild der Realität zu transzendieren", erklärt die Rezensentin. Bedauerlich findet sie nur, dass Ulrich am Ende seines Buches die aktuelle Unschärfeästhetik mit dem Label der "postmodernen Beliebigkeit" kritisiert, und mit diesem Pauschalurteil seine so sorgfältig entwickelte Differenzierungsfähigkeit wieder zerstört.