Ein großer Wurf, behauptet Andreas Breitenstein über Per Olov Enquists neuen Roman, dessen Aufwand er allerdings etwas in Frage stellt. Die in Frage gestellte Aufwendigkeit meint keineswegs den Seitenumfang, der mit 240 Seiten eher bescheiden wirkt. Gemeint ist die Mischung an "phantastischer Konstruktion und fortlaufender Verrätselung, psychologischer Befragung und symbolischer Überhöhung", die Enquist anhand zweier Frauenfiguren betreibt: Blanche Wittman, eine der bekanntesten, weil bei Charcot vorgeführten Hysterikerinnen, die nach ihrer Heilung als Laborassistentin in der Röntgenabteilung gearbeitet haben soll, sowie Marie Curie, die Entdeckerin des Radiums. Vermutlich haben sich die beiden Frauen gar nicht gekannt, hat Breitenstein recherchiert, aber Enquist präsentiere das Fiktive in Form eines "Fragebuchs" als so authentisch, dass er etwa die Hälfte des Buches gebraucht habe, um an dem Wirklichkeitsgehalt des Berichteten zu zweifeln. Die desolate Situation der Frauen damals, die unrühmliche Frühgeschichte der Psychiatrie, die erste Wissenschaftseuphorie, all das sind Themen, die Enquist verknüpft; sein Hauptthema aber sei die Liebe, meint Breitenstein, was zugleich die Stärke wie Schwäche des Buches ausmache. Je weniger sie sich fassen lasse, um so mehr neige der Autor in solchen Momenten zum Pathos. Momente, die der Faszination des Buches als Zeit- und Sittengemälde ansonsten nichts anhaben könnten.