Stürmisch begrüßt Rezensent Frank Schäfer diese Neuauflage von Irmgard Keuns "Kunstseidenem Mädchen" nach dem Erstdruck von 1932. Nachdem er zunächst das Schicksal des Romans und seiner Autorin rekapituliert hat (Erklärung zur "Asphaltliteratur" durch die Nazis, Flucht in die Niederlande, Rückkehr nach Deutschland vor Kriegsende, Veröffentlichung der "zensierten", "geglätteten" Fassung 1951), verkündet der Rezensent voller Freude: "Nun kann man das Original wieder lesen - und sollte das tun." Denn "Das kunstseidene Mädchen" hat so einiges zu bieten. Es beschreibt einen "neuen Phänotyp", der nicht nur als Illustration der Thesen Kracauers vom neuen gesellschaftlichen Typus des Angestellten gelten kann, sondern auch ein "neues weibliches Rollenmodell" schafft, das den "konservativen Kerlen" ordentlich einheizt und das sogar soziale Unterschiede durch Verführungskraft - wenn auch nur vorübergehend - zu sprengen vermag. Allen voran ist es Keuns "eruptiver, vom Expressionismus beeinflusster Staccato- Stil", der beim Rezensenten Anklang findet. In der Tat stellt das Berlin der Zwanziger Jahre und seine verwirrende Rasanz eine erzählerische und stilistische Herausforderung dar, merkt der Rezensent an: "Alles will schnell mit stenografiert sein, und so sind diese Sätze notwendig kaputt." Keun gelinge es, den Wunsch ihrer Protagonistin Doris umzusetzten, die einmal sagt, sie wolle "schreiben wie Film". Doris Blick, so der begeisterte Rezensent, wirkt wie eine "Handkamera" und ihre Sprache, etwa wenn sie ihrem blinden Nachbarn von draußen erzählt, wie eine "hyperwache, alles erfassende Ekstase".