Oliver Jungen kann sich mit Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichten nicht recht anfreunden, denn im Lauf der Lektüre fällt ihm auf, dass die Stories, die allesamt Verbrechen aus der Sicht eines Strafverteidigers schildern, im gleichen Ton der "ostentativen Unvoreingenommenheit" geschrieben sind. Auf ihn wirken die betont sachlichen Schilderungen der Verbrechen, die stets das "Menschliche" hinter der Tat herauszustellen suchen, sei es die Ermordung der Ehefrau, Kannibalismus oder schnöder Raub, letztlich wie Plotextrakte oder Drehbuchentwürfe, die in ihrer konzentrierten Abfolge schwer zu goutieren seien. Jungen fehlt der "narrative Überbau" und die literarische Eigenständigkeit, zudem lassen die vorgestellten Figuren an Plastizität vermissen, wie er kritisiert. Hier sticht für den Rezensenten lediglich die Abschlussgeschichte hervor, die ihn als "unplausible, schöne" Erzählung überzeugt. Als "Plädoyer für das abwägende Schuldstrafrecht" allerdings, das "Motive und Intentionen" der Verbrecher beim Schuldspruch berücksichtigt, gewinnen die Kurzgeschichten den Rezensenten durchaus.